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Andreas Felger, Fluss des Lebens, 1995 © AFKS

HOLZRELIEF: Fluss des Lebens, 1995, Ölfarbe auf Holz, 300 x 500 cm

Das Wasser im Teich Bethesda in Jerusalem, nach der das Agaplesion Krankenhaus benannt ist, war als Heilwasser bekannt. Im Johannesevangelium heißt es, dass

ein Engel in den Teich herab[stieg] und […] das Wasser [bewegte]. Wer nun nach der Bewegung des Wassers zuerst hineinstieg, wurde gesund, mit welcher Krankheit er auch behaftet war.“ (Joh 5,4 EU)

Die Wasserbewegung kann man sich entweder als Wunder vorstellen oder von mechanischen Kräften ausgehen, mit denen seit Jahrtausenden über Hebevorrichtungen Wasser in Auffangbecken verteilt wurde. Andreas Felgers Fluss des Lebens zeigt einen Schwall, der hell und klar seine reinigende, befreiende, im besten Fall heilende Energie freisetzt. Das Wasser fällt drei Höhenmeter hinab, durchquert diagonal die fünfzehn Quadratmeter große Bildfläche und scheint über den Bildrand hinaus weiterzufließen.

Es überquert gebrochene Felsstrukturen, den Naturraum, dem man einst die Zisternen abgetrotzt hat. Darüber stehen zeichenhaft Bauwerke, die Behausungen des Menschen, die an ihren rechten Winkeln erkennbar sind. Im oberen Bilddrittel sprechen Blattgold sowie Himmelsweiß, -blau und -violett von Weite und Offenheit, im unteren öffnen sich Abgründe und verschließen sich in der Dunkelheit.

Man könnte dieses Flachrelief mit seinen vielen Einkerbungen als Tastbild erfahren, das Material würde zu den Fingerspitzen durch seine Unebenheiten sprechen. Unregelmäßig ist auch die Abfolge der Formen, die menschliche Ordnungen als gewachsene Strukturen ins Bild setzen.

Glatt und weich ist nur das bewegte Wasser, das als Fluss des Lebens auch den Horizont erweitern kann: Das eigene Leben als Teil eines sich unaufhörlich wandelnden Ganzen zu begreifen, eine herausfordernde und zugleich befreiende Vorstellung.

Autor: Marvin Altner

Sana Klinik Bethesda, Stuttgart


Andreas Felger, Altarbild und -tisch, Lesepult, Parament, 2001–2002 © AFKS

ALTARBILD „Die Schwere des Kreuzes ist überwunden“, 2001, Öl auf Leinwand, 90 x 90 cm | ALTARTISCH, 2001, Ahorn, 85,5 x 169 x 79 cm | LESEPULT, 2001, Ahorn, 116 x 65,5 x 52 cm | PARAMENT, 2002, gewebter Stoff, 90 x 42,5 cm

Tisch, Pult, Parament und Bild – regelmäßig entwirft Andreas Felger dieses Objekt-Ensemble für Kirchen und Andachtsräume.

Die Gestaltungsmerkmale der Objekte werden auf die jeweiligen Räume abgestimmt, seien es historische Kirchenbauten mit ihrer komplexen Innenarchitektur oder Kirchen und Andachtsräume, die seit der Nachkriegzeit entstanden und oftmals spartanisch eingerichtet sind. Auch neutrale Raumverhältnisse erzeugen Resonanzen; sie können der Atmosphäre in musealen Ausstellungsräumen recht nahe kommen.

Im Ludwigsburger „Haus am Salon“ harmonieren die nach Felgers Entwürfen hergestellten Tisch- und Pultplatten aus Ahorn mit dem Parkett, während die dunkel-anthrazitfarbenen Gestelle markante Rahmen setzen. Abgemildert von der Stofflichkeit des Paraments und den feinen Farbübergängen im Ölbild treffen sie jedoch sanfter auf Auge und Geist des Betrachters.

Die helle und klar strukturierte Gesamtgestaltung spiegelt sich auch im Altarbild wider. Seine geometrische Komposition lässt an mathematische Problemstellungen wie die Quadratur des Kreises denken.

Dass es Felger aber nicht um transzendente Zahlen und Mathematik geht, zeigt sich im gestalterischen Detail. Das Quadrat der Grundfläche ist zwar in neun kleinere Rechtecke aufgeteilt und Kreuz und Kreis sind in dieses Raster eingeschrieben.

Der Künstler wählt dabei jedoch schmalere Kreuzesbalken, zieht den Kreis leicht ein, so dass er den Bildrand nicht berührt, und erstellt ein Farbkonzept, das den Werktitel ganz wörtlich umsetzt:

Die Schwere des Kreuzes ist überwunden.

Von links unten nach rechts oben hellen die Farben auf, lösen sich von der geometrischen Strenge der Komposition und verlieren ihre Intensität und Schwere.

Entsprechend der Auferstehung als Sinn und Ziel christlicher Passion lassen sich die Übergänge von rot und braun zu grün, blau und weiß auch als Hinweis auf Erlösung und Transzendenz deuten und in der Betrachtung erfahren.

Autor: Marvin Altner

Karlshöhe, Ludwigsburg


Andreas Felger, Aquarelle/Holzschnitte, 1995–1998 © AFKS

ST. BONIFATIUSKIRCHE: 14 AQUARELLE: Kreuzweg-Zyklus, 1997–98, je 70 x 70 cm | TAUFSTEIN, 2004, Kirchheimer Muschelkalk, H 80 cm, Ø 50 cm
GEMEINDEZENTRUM: 2 HOLZSCHNITTE: Ich bin der Weinstock, Ich bin das Brot, 1995, Holzdruck auf Papier, je 104 x 80 cm

Wer in den weiten, lichten Raum der Asperger St. Bonifatiuskirche tritt, wird zunächst von ihren hoch aufragenden Glasfenstern räumlich-körperlich aufgerichtet und kann freier atmen. Betrachtet der Kirchgänger dann die auf Augenhöhe gehängten, mit 70 x 70 cm am menschlichen Maß orientierten Kreuzweg-Darstellungen Andreas Felgers, steht er ihnen – auch im übertragenen Sinn – von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

Der Kreuzweg des christlichen Gottessohns erzählt die Geschichte körperlichen und seelischen Leidens eines Menschen. Die geistige Unabhängigkeit Jesu von dem Martyrium seines erniedrigten Körpers wird in dieser Erzählung nur punktuell thematisiert (8. Station, Jesus redet zu den weinenden Frauen).

Anselm Grün hat Andreas Felgers Aquarelle zum Kreuzweg daher im Sinne der direkten Ansprache des Betrachters interpretiert: Die Leiden, die Jesus nicht erhaben, sondern menschlich ausgeliefert zeigen, geben uns die Möglichkeit der Identifikation und fordern uns auf, den exemplarischen Schmerz in einem karthatischen Prozess am eigenen Leben nachzuvollziehen.

Die Bildsprache des Felgerschen Kreuzwegs ist abstrakt, und doch werden die Inhalte der biblischen Geschichte und der Ablauf der konkreten Handlungen wiedergegeben.

Am Beispiel des dreimaligen Falls des zum Tode Verurteilten unter dem Kreuz (3., 7., 9. Station) wird dies besonders deutlich, weil es sich um Variationen eines Themas handelt. Mensch und Kreuz erscheinen in Form zweier Balken, hell, fast weiß und etwas kleiner für den Menschen und dunkel, nahezu schwarz und etwas größer für das Kreuz.

Diagonale Setzungen dieser Balken vergegenwärtigen den jeweiligen Ablauf, die Dynamik des Fallens und die Verhältnisse zwischen einem übermächtigen Kreuz und einem gebeugten (aber nicht gebrochenen) Menschen. Der Dreischritt dieser Darstellungen zeigt, wie sprechend Felger die Balkenformen einzusetzen weiß: Die 3. Station zeigt den Fall in einer noch offenen Konstellation, die 7. betont die Ausweglosigkeit der Unterwerfung im eingeschlossenen und stark gebogenen weißen Balken und die 9. Station nimmt in ihrer Dynamik ansatzweise das Aushauchen des Lebens aus dem Körper vorweg, das in der 12. geschieht.

Auch die handwerkliche Bearbeitung des Bildmaterials stellt konkrete Bezüge zum Kreuzweg her. Andreas Felger nutzt die Aquarell-Technik für eine ungewöhnliche Verdichtung der Farben, steigert die Bildwirkung mit Kontrasten, kratzt Farbe heraus und betont damit die Stofflichkeit des Papiers als Bildträger. Bei näherem Hinschauen erweist sich das bemalte Papier, der Bild-Körper, als in feinsten Abstufungen künstlerisch bearbeitetes Material, das Verletzungen erleidet und zwischen Komposition und Destruktion vermittelt.

Der Stein vor dem Grab, der in Felgers 14. Blatt die gesamte Bildmitte einnimmt (durchschnitten nur von der feinen weißlichen Linie, die auf den Beigesetzten verweist), beschließt seinen Kreuzweg. Löst sich der Blick von diesem Stein und wendet sich der Betrachter in den Raum, so scheint das ganze Kirchenschiff vom Sinn des Kreuzwegs, von Erlösung und Erhöhung durch die Auferstehung zu sprechen.

Autor: Marvin Altner

Sankt Bonifatius Kirche, Asperg


Andreas Felger, Relief/Glasfenster, 1990–1991 © AFKS

LAMM GOTTES, 1990–91, Holzrelief (Öl auf Holz mit Blattgold) | GLASFENSTER, Schöpfung, Versöhnung, 1990–91, Glas, 750 x 80 cm

Andreas Felgers Werkgruppe in der Versöhnungskirche in Schorndorf verbindet die Materialien Glas, Holz und Stoff zu einer thematischen Einheit, die den Begriff der Versöhnung umkreist. Im Zentrum steht das Lamm Gottes als Zeichen der Auferstehung Christi und der Vergebung menschlicher Sünden: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ (Joh 1,29; 1,36 EU).

Links strahlt das Glasfenster mit dem Baum des Lebens, zu dem Adam und Eva bei der Verstoßung aus dem Paradies der Zugang verwehrt wurde. Neutestammentarisch war die Hoffnung auf ein ewiges Leben, die Erfüllung des Heilsplans für den Menschen, erst durch den Kreuzestod Christi wieder erfahrbar. Rechts erscheint eine Szene des Gleichnisses vom barmherzigen Vater und verlorenen Sohn. Die Liebe des Vaters zum heimgekehrten Sohn wird ebenfalls in ein Bild der Vergebung, der Aufhebung von Schuld durch Gnade gefasst.

Das Besondere des Schorndorfer Ensembles besteht darin, dass Andreas Felger diese bekannten zugleich aber auch vielschichtigen christlichen Themen kompositorisch so verbindet, dass sie dynamisch ineinander übergehen oder, anders formuliert, in Fluss geraten. Der Blutfluss des Lamms, das Wasser am Fuß des Paradiesbaums (dem Ort, an dem die vier Paradiesströme entspringen, vgl. Gen 2,10 EU), der Fluss des Lebens, der Vater und Sohn wieder vereinigt: All dies findet sich in Felgers abstrakt fließenden Glasstrukturen an der Seitenwand wieder, die das Leitmotiv in den Raum hinein erweitern und ihn erfüllen. Schließlich gehört zum Leben spendenden Wasser auch der Fisch auf dem Altartischbehang, nicht nur neben dem Brot und Wein das zentrale Symbol des Abendmahls, sondern auch im Wasser verborgene Entsprechung des Menschen auf der Erde, etwa in den Worten Jesu an Petrus: „Fürchte dich nicht! Du wirst jetzt keine Fische mehr fangen, sondern Menschen für mich gewinnen.“ (Lk 5,10 EU)

In dieser bewegten, fluiden Bildwelt steht einzig das Lamm in der Mitte still und fest verbunden mit der Kreuzesform, in die es gefügt ist: Die Personifikation des Gottessohns am Kreuz wird hier greifbar. In der Offenbarung des Johannes wird es als die Aufgabe des Lamms beschrieben, das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen:

Und ich sah: Zwischen dem Thron und den vier Lebewesen und mitten unter den Ältesten stand ein Lamm; es sah aus wie geschlachtet und hatte sieben Hörner und sieben Augen; die Augen sind die sieben Geister Gottes, die über die ganze Erde ausgesandt sind. (Offenbarung 5, 6–7)

Die Darstellung des Lamms mit den sieben Augen ist wohl am besten aus Albrecht Dürers Holzschnitt-Zyklus der Apokalypse bekannt. In Felgers Altarrelief antworten den Augen die sieben siegel- oder wappenartigen Formen unterhalb des Lamms und die sieben unregelmäßigen Rechtecke, die das Tier oben und rechts einrahmen. Augen, Siegel und Tableaus, auf denen wir uns die Folgen des Öffnens der Siegel ausmalen können, ergeben eine weitgehend textgetreue Übertragung der biblischen Erzählung.
Ungewöhnlich hingegen ist die bildkünstlerische Form: Die erhabenen Schichten des Reliefs gehen an den Rändern des Holzobjekts in die skulpturale Form über und dehnen sich in fließenden Bewegungen in den Kirchenraum aus.

Autor: Marvin Altner