Andreas Felger, ohne Titel, 2023
Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm © AFKS
Andreas Felger, ohne Titel, 2023
Aquarell auf Papier, 70 x 67 cm © AFKS
OHNE TITEL
2023
Öl auf Leinwand
80 x 60 cm

Reflexhaft dachte ich an Caspar David Friedrich, dessen 250ster Geburtstag dieses Jahr zu einer erhöhten Aufmerksamkeit führt, zumindest in Greifswald, Dresden, Hamburg und Berlin, Wirkungsstätten Friedrichs und Orte, an denen sich heute die großen Sammlungen seiner Werke befinden. Auch auf lange Sicht dominieren bei Friedrich regionale Schwerpunkte seiner Wirkungskreise. Er war ein sehr heimatverbundener Künstler, dem Elbsandsteingebirge im Leben und in der Kunst so nah wie Andreas Felger der schwäbischen Alb. Um diesen Faden weiterzuspinnen: Beide Künstler haben zu einem großen Teil Landschaften gemalt und beide waren/sind gläubige Menschen, deren Hochachtung vor der Schöpfung so weit reicht/e, dass jedes Bild daran teilhat, weil diese Achtung zu ihrer Weltanschauung gehört/e. Ausgelöst wurde der Reflex durch die Assoziation einer Fensteröffnung angesichts zweier eigentlich abstrakter Kompositionen Andreas Felgers aus dem Jahr 2023.

Der Blick aus dem Fenster könnte ganz profan aufgefasst werden; als eine prototypische Kompositionsform in der deutschen Malerei der Romantik hingegen gerät vor dem Fenster viel mehr in den Blick: Himmel, Sehnsucht, Glaube … am bekanntesten vielleicht Friedrichs Frau am Fenster vor gut 200 Jahren in Dresden gemalt, mit einem doppelten Fensterausblick, Elbe und Himmel, Erde und Kosmos getrennt. Bei Felger ist die Polarität von Rahmen und Ausblick, geschlossener (Bild-)Raum und Schauen ins Offene zunächst auf das Bild als solches, also sein Format und auf das Material der Malerei bezogen. Aber Leere, Licht und der Eindruck des Schwebenden bleiben verbunden mit ihren traditionellen Bedeutungen, die auf Ferne, Geistiges, Höheres weisen.

Zugleich ist es kennzeichnend für die Kunst Andreas Felgers, dass die Betrachtung seiner Bilder durch diese Bedeutungen nicht überfrachtet werden, weil sie zugleich lebt von der Freude am koloristischen Zusammenspiel, der Leichtigkeit der Pinselsetzungen. Diese erscheinen hier besonders frei, als hätte von der Bildmitte ausgehend ein Luftstoß die Farbe aufgewirbelt und der Betrachter wird zum Zeugen des bildlich angehaltenen Moments, nach dem die Partikel niedersinken oder fortschweben werden. Man kann dies Schauspiel mit ästhetischem Wohlgefallen betrachten … und auch eine geistige Dimension erahnen, einen Zwischenzustand; Farbmaterie, die sich in Luft, Licht und der Vorstellung von einem ‚draußen‘, jenseits der Rahmungen entmaterialisiert. Es zeigt sich im Verhältnis von Aquarell und Ölmalerei sehr unterschiedlich, Linearität und Transparenz versus malerische Tiefe und Dichte der Farbgebung. Kompositorisch und in Bezug auf die Leichtigkeit der Farbsetzungen hingegen bleiben die Gemeinsamkeiten von Felgers Hand.

Text von Marvin Altner

Marvin Altner ist promovierter Kunsthistoriker und Dozent für Kunstwissenschaft an der Universität Kassel. Nach einem Volontariat an der Hamburger Kunsthalle in Hamburg war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator an Berliner und Hamburger Museen sowie als freischaffender Autor im Bereich der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart tätig. Seit 2012 lehrt er an der Kunsthochschule Kassel im Studiengang Kunstwissenschaft und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Andreas Felger Kulturstiftung, unter anderem als Autor, Ausstellungskoordinator und Betreuer der Datenbank der Werke von Andreas Felger.