Andreas Felger, Der Mensch ist wie die Blume auf dem Felde, 1998
Aquarell auf Papier, 37,5 x 27 cm © AFKS
DER MENSCH IST WIE EINE BLUME AUF DEM FELDE
2023
Aquarell auf Papier
37,5 x 27 cm

Strahlenförmig leiten die Kompositionslinien den Blick des Beschauers vom unteren Bildrand über die Blattfläche nach oben, aus ihrer Mitte erwächst eine menschliche Gestalt, flankiert von geschwungenen Linien, die auf Pflanzen oder Figuren verweisen. Skizzenhaft andeutend bleiben diese flüchtigen Bildzeichen, kraftiger hingegen wirken die Farben, nach außen kühler, zum Bildinnern hin lichter und wärmer. Das suchende Auge mäandert entlang der Linien und Farbpartien durch eine Mischwelt aus floralen und anthropomorphen Formen.

Andreas Felger bezieht sich auf einen bekannten Bibel-Psalm (103:15): „Denn er (…) gedenkt daran, dass wir Staub sind. Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Feld; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr“ und so hat das Aquarell auch Eingang in Felgers Bilder der Bibel (Hünfelden 2006) gefunden. Thematisch wird hier die Vergänglichkeit betont, die Zartheit und Verletzlichkeit von Blumen wird auf des Menschen Sterblichkeit übertragen. Im Aquarell veranschaulicht der Maler diese Symbolik durch Skizzenhaftigkeit ebenso wie das Changieren zwischen Figuration und Abstraktion. Erscheinen und Vergehen werden sicht- und fühlbar, im biblischen Kontext steht dieses Wechselspiel zwischen Mensch und Pflanze für die Wandlungen des Daseins alles Lebendigen. Tod ist ein zu starkes und einseitiges Wort im Fluss dieser innerbildlichen Übergänge, die weich sind und unscharf geformt.

Die Rede von der „Blume auf dem Felde“ hat auch eine poetische Qualität, auf die der Maler farblich antwortet. In Heinrich Heines Gedicht, „Du bist wie eine Blume“, werden ebenfalls die Schöpfung und ihre Vergänglichkeit thematisiert, hier am Beispiel der religiös überhöhten Verletzlichkeit des Schönheitsideals, das die Pflanze/das Mädchen verkörpern: „Du bist wie eine Blume, / So hold und schön und rein; / Ich schau’ dich an, und Wehmuth / Schleicht mir in’s Herz hinein. // Mir ist, als ob ich die Hände / Auf’s Haupt dir legen sollt’, / Betend, daß Gott dich erhalte / So rein und schön und hold.“

In Andreas Felgers Aquarell klingt vieles an: Die zentrale Figur im Bild lässt an Jesus mit seinen Jüngern im Hintergrund denken; gewiss ist das Selbstbild des Künstlers und seine Verortung in der Welt ein Aspekt des Werks; die biblische Mahnung, der Mensch sei wie alles Irdische transitorisch, spricht aus dem Blatt; und schließlich öffnen sich persönliche Assoziationsfelder wie die lyrische Gestimmtheit, die von den Farbwirkungen ausgeht, an Heines Gedichtzeilen denken lässt und nicht zuletzt an dessen musikalische Vertonung durch Robert Schumann.

Text von Marvin Altner

Marvin Altner ist promovierter Kunsthistoriker und Dozent für Kunstwissenschaft an der Universität Kassel. Nach einem Volontariat an der Hamburger Kunsthalle in Hamburg war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator an Berliner und Hamburger Museen sowie als freischaffender Autor im Bereich der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart tätig. Seit 2012 lehrt er an der Kunsthochschule Kassel im Studiengang Kunstwissenschaft und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Andreas Felger Kulturstiftung, unter anderem als Autor, Ausstellungskoordinator und Betreuer der Datenbank der Werke von Andreas Felger.