ohne Titel
Augen-Formen begegnen uns oft in Andreas Felgers Bildern, als Teil von Figurendarstellungen ebenso wie als solitäre Formen, losgelöst von Gesichtern, in der Landschaft und in primär abstrakten Kompositionen. Die Bedeutungen dieser piktogrammartigen Formelemente variieren entsprechend der Kontexte. Oft sind religiöse Konnotationen naheliegend, wenn ein ‚Auge Gottes‘ einzeln in der oberen Bildhälfte erscheint. Auch ein Berg kann ‚schauen‘ – wie in unserem Vergleichsbild Farrenberg im Mond – und wir denken an eine personifizierte Natur, in die wir nicht nur unseren Blick versenken, sondern die unversehens zurückblickt. Durch den Blick werden Baum, Wald, Himmel zum Gegenüber, als spräche uns die Schöpfung direkt an. Man könnte meinen, dass hier ein antiker Naturbegriff mitschwingt, die Beseelung der Natur, wie wir sie aus der Mythologie kennen. In Andreas Felgers Augendarstellungen bleibt von der mythologischen Gestalt jedoch nur dieses eine Bildkürzel, eine liegende Mandelform mit einem kreisrunden Zentrum.
Im hier vorgestellten Ölbild aus dem Jahre 2024, ohne Titel, erscheint die Symbolik relativiert. Die Augenformen erscheinen und verschwinden, ganz so wie die Bewegungen des Wassers es nahelegen. Der Hintergrund in blauer und Sand-Farbe sowie der Vordergrund mit einer gewellten Ornamentik könnten auf eine Strand-Szene verweisen, in der sich Blicke zeigen. Sie tauchen auf und ab, gehen über in die bewegten Linien, die sich zur Bildmitte hin verdichten. Nach oben und unten öffnen sich die Strukturen gleichmäßig, wodurch die obere und untere Bildhälfte symmetrisch erscheint, wie auf dem Wasser, so an Land. Der Duktus von Andreas Felgers Pinsel-‚Schrift‘ bewegt das Auge des Betrachters geradezu spielerisch, man spürt den Schwung und das Vergnügen des Malers beim Setzen der bewegten Zeichen. Ein Übriges tun die locker über die gesamte Bildfläche verteilten Farbpunkte und -sprenkel, die luftig und leicht die Wellen- und Augen-Ornamente übersäen und ihrerseits des Betrachters Schauen in Bewegung halten. Die Pinsel-Führung des Malers, das Liquide der Farbe und das Wässrige der abgebildeten Elemente vereinen sich zu einer ebenso animierten wie ungreifbaren Bildoberfläche.
Text von Marvin Altner
Marvin Altner ist promovierter Kunsthistoriker und Dozent für Kunstwissenschaft an der Universität Kassel. Nach einem Volontariat an der Hamburger Kunsthalle war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Kurator an Berliner und Hamburger Museen sowie als freischaffender Autor im Bereich der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart tätig. Seit 2012 lehrt er an der Kunsthochschule Kassel im Studiengang Kunstwissenschaft und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Andreas Felger Kulturstiftung, unter anderem als Autor, Ausstellungskoordinator und Betreuer der Datenbank der Werke von Andreas Felger.

